"Es zittern die morschen Knochen..."
Lyrik während der Zeit des Nationalsozialismus.
Vortrag von Walter Wehner

An den Anfang möchte ich einige Thesen stellen, die die Diskussion über die Lyrik der NS-Zeit beeinflussen könnten:

1. Die jeweilige Faschismustheorie wirkte sich auf die wissenschaftliche Erfassung der NS-Zeit und ihre literarischen Produkte aus.

Der orthodox-marxistische Faschismusbegriff ("die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten kapitalistischen Elemente des Finanzkapitals" (Dimitroff); direkte Folge des Monopolkapitalismus und seiner Krisen) vernachlässigt eine Reihe durchaus wichtiger Fragestellungen: warum wesentliche Werke der NS-Literatur bereits lange vor 1933 erschienen; warum zahlreiche Autoren ohne Zwang die NS-Ideologie in ihren Büchern vertraten; warum eine so große Anzahl von Lesern freiwillig diese Literatur las; warum fast alle bedeutenden Arbeiterdichter sich ideologisch und literarisch zum NS-Staat bekannten; warum deutscher und italienischer Faschismus so unterschiedlich mit der Moderne umgingen.
Das Interesse bezog sich überwiegend auf inhaltliche Aspekte der Texte. Probleme, welche die formale Gestaltung, aber auch ihre Darbietung (Massenlied, Weihespiel, Sprechchöre) aufwerfen, wurden nicht berücksichtigt. Die Frage nach einer faschistisches Ästhetik in der Literatur und wie diese eventuell zu definieren sei, konnte nicht beantwortet werden.
Ein konservativ bürgerlicher Faschismusbegriff, der den NS-Staat sprachlich verräterisch und ohne Vorbehalt als "Drittes Reich" kennzeichnete, vom "Unfall der Geschichte" sprach, die Gewalttätigkeiten, die Inhaftierung und Ermordung politischer Gegner als "Machtergreifung" qualifizierte, das Ende als "Niederlage des Deutschen Reiches" und nicht als Befreiung empfand, hatte sichtlich Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung auch der eigenen Betroffenheit.
Er wich der Frage nach faschistischen Traditionen aus, leugnete oder bagatellisierte ihr Fortbestehen, reduzierte den Rechtsradikalismus auf "bedauerliche Einzelfälle" von wenigen "Unverbesserlichen" bzw. "ewig Gestrigen", wie er auch die NS-Zeit vielfach unter dem Gesichtspunkt von Personalisierungen als das Werk weniger Verbrecher betrachtete.
Die im "Historikerstreit" postulierten Parallelen zwischen stalinistischem und faschistischem Terror fanden eine Entsprechung in der Gleichsetzung von ästhetischen Kategorien: sozialistischer gleich nationalsozialistischer Realismus, Traktorfahrer bei der Erfüllung von Planvorgaben gleich Bergbaukumpel bei der Schlacht vor Kohle, Ablehnung der modernistischen Strömungen.

2. Die dem "sprachlichen Kunstwerk" verpflichtete Literaturwissenschaft besonders der 50er und 60er Jahre konnte der NS-Literatur als Ganzem keinerlei wissenschaftliches Interesse abgewinnen. Sie löste aber einzelne Autoren aus dem literaturgeschichtlichen und politischem Zusammenhang heraus und unterwarf sie der werkimmanenten Methode. Entideologisiert konnten dann diese Texte gar Modellcharakter für den Schulunterricht gewinnen, etwa unter dem Gesichtspunkt "motivgleiche Gedichte" oder allgemeingültiger Werte und Erkenntnisse.

Es ist sicherlich richtig, dass die NS-Kunst keine für uns heute ästhetisch diskutablen Kunstwerke hervorgebracht hat. Sie war im Großen und Ganzen epigonal. Dies enthebt aber nicht der Aufgabe, auch durch formale Analyse der Werke ihren jeweiligen Stellenwert im damaligen Literaturkanon und die durch ihre Textstruktur erreichten bzw. angestrebten Absichten aufzudecken. Das völlige Absehen von der Rezeption der Texte, ihrer ideologischen Indienstnahme, vom politischen Umfeld sowie von der außerliterarischen, politischen Tätigkeit der Autoren, verkürzt die Interpretation nicht nur, sondern verfälscht sie. Das Lob literarischer Formstrenge ohne Hinterfragen ihrer Funktion und Berechtigung verkennt die Ziele einer neoklassischen Literatur, wie sie Josef Weinheber produzierte, ebenso wie die Filmästhetik Leni Riefenstahls oder die Bildhauerarbeiten Arno Brekers.

3. Die theoretischen Defizite bei der Definition von politischer Lyrik und die Vorbehalte gegen jegliche Form politischer Literatur ließen die NS-Literatur als entweder nicht fassbaren oder unkünstlerischen Gegenstand erscheinen, der nicht in den Aufgabenbereich der Literaturgeschichte fiel.

Literatur insgesamt auch als Politikum zu betrachten und in einen operativen Bereich mit relativ eindeutiger politischer Zielsetzung (Tendenzliteratur) und in einen Bereich mit allgemein politischer Wirkung, die oftmals vom Autor weder beabsichtigt noch erkannt wird, scheint mir im Gegensatz zu literaturwissenschaftlichen Untersuchungen zur Lyrik der NS-Zeit (Ketelsen) durchaus praktikabel. Auch Brechts "Gespräch über Bäume" ist von politischer Relevanz. Zu fragen ist nicht nur nach der Ästhetik der Naturlyrik der sogenannten inneren Emigration, sondern auch nach ihrer politischen Funktion. Gleiches gilt für die Unterhaltungsliteratur oder die Humorproduktion eines Eugen Roth. Man sollte vielleicht doch davon ausgehen, "dass die gesamte lyrische Produktion in Deutschland zwischen 1933 und 1945 politisch war." (Ketelsen 292). Notwendig wäre es allerdings, den jeweiligen politischen Stellenwert, den Intensitätsgrad näher zu untersuchen, Differenzierungen hinsichtlich der Wirkung beim Leser vorzunehmen, die Verwertung und Förderung durch die NS-Kulturpolitik zu bestimmen. Ablehnen möchte ich einen Begriff von politischer Lyrik, der sich allein auf die progressiven, demokratischen Tendenzen stützt.

4. Die Germanistik - im NS-Staat stark von faschistischen Ideologien beherrscht - klammerte nach 1945 auch aufgrund von persönlicher Betroffenheit vieler Hochschullehrer diesen Bereich aus.

Die Germanisten leisteten durchaus keinen Widerstand gegenüber den Bestrebungen der NS-Politik, weder an den Universitäten noch in den Buchverlagen oder in der Publizistik. Vielmehr gehörten sie mit großen Teilen ihrer Studentenschaft zu einem besonders ideologisch anfälligen Potential der "Bewegung". Weder schreckten Professoren vor Bücherverbrennungen zurück noch vor völkischer Literaturgeschichtsschreibung unter Rassegesichtspunkten. Auch verblieben zahlreiche Wissenschaftler nach 1945 im Amt und im Literaturbetrieb. Es bedurfte mehrerer Generationen bis eine kritische Aufarbeitung der eigenen Fachgeschichte erfolgte und nach der Rolle von Germanisten wie Hanns Elster, Wolfgang Kayser, Fritz Martini, Hermann Pongs, Karl Vietor gefragt wurde.
So überrascht es nicht, dass eine der ersten populären Darstellungen zur NS-Literatur von dem emigrierten jüdischen Germanisten Ernst Loewy stammt.

5. Der Mythos der Stunde Null erleichterte es, die NS-Literatur auf ein zeitlich eng begrenztes Fehlverhalten Einzelner zu reduzieren. Der Kalte Krieg gab vielen belasteten Autoren die Chance, wieder im Medienbereich tätig zu werden.

Die Fülle der Schriftsteller-Karrieren aufzuzeigen, die sich auch nach 1945 fast bruchlos fortsetzten, würde den Umfang dieses Aufsatzes bei weitem sprengen. Nicht nur Kinder- und Jugendbücher wurden in bearbeiteter Form weiteraufgelegt auch große Teile der Heimatliteratur. Die Naturlyrik der NS-Zeit und die Balladendichtung fanden mühelos Eingang in die Schulbücher der BRD. Zahlreiche Ehrungen, Preise, Straßenbenennungen und Gedächtnisfeier zeugen von der gesellschaftlichen und kulturpolitischen Akzeptanz ehemaliger Literaturgrößen der NS-Zeit. Und selbst viele politisch eindeutig Belastete fanden in den Vertriebenen-Verbänden und ihren Organisationen eine neue Heimat und entsprechende Anerkennung. Insbesondere österreichischen Autoren gelang es, trotz nachgewiesener NS-Funktionärstätigkeit und alliierter Verbote wieder als Autor, Verleger, Publizist und Kulturfunktionär Karriere zu machen.

Die Mitte der 60er Jahre beginnende Debatte um eine Neuorientierung der Literaturwissenschaft führte zwar zu einer Beschäftigung mit der politischen Literatur der Jakobiner, des Vormärzes und der Weimarer Zeit, blendete aber überwiegend die nationalistischen und antisemitischen Tendenzen aus der Diskussion politischer Literatur aus.
Die Lyrik der NS-Zeit kann aber auf eine Fülle antidemokratischer Literatur zurückgreifen. Es gibt in Deutschland - leider - auch eine Tradition des Ungeistes und diese verfügte durchaus über eine umfangreiche Leserschaft. Zudem ließen sich zahlreiche Texte aufgrund ihres "nationalen" Gehaltes vereinnahmen und als Vorläufer der "völkischen" Dichtung reklamieren. Die Behauptung, der NS-Kulturpolitik, 1933 habe man der Unterdrückung der "wahren, echt deutschen" Literatur ein Ende gesetzt, war reine Propaganda. Die Märtyrerrolle diente zur Legitimierung der Unterdrückung der sogenannten "entarteten Kunst". Sie erleichterte eine Neuaufteilung des Marktes durch das Ausschalten der Konkurrenz, ließ Funktionen im Literaturbetrieb neu vergeben und neue Rollen, z.B. die eines neuen Goethe, beim Lesepublikum einnehmen.
Besonders die nationale bis chauvinistische Lyrik des 19. Jahrhunderts wurde von der NS-Propaganda als Erbe reklamiert. Hervorzuheben wären hier die antifranzösische Lyrik der Befreiungskriege ("Volk ans Gewehr"), Emanuel Geibel ("Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen.") und die Reichseinigungsliteratur von 1870/71. In einigen Fällen griff man bis auf die revolutionäre Lyrik des Bauernkrieges (antiklerikale Tendenz, Hervorhebung des Bauernstandes) zurück. In den Liederbüchern der NSDAP-Gliederungen finden sich zahlreiche Beispiele. Die kriegsbejahende Lyrik des 1. Weltkrieges - gesammelt in zahlreichen Anthologien und vielfach von Autorinnen verfasst - belegt die Kontinuität dieser Literatur.
Die Gedichtbände von
Rudolf Herzog "Vom Stürmen, Sterben, Auferstehen" (Leipzig 1916)
Joseph von Lauff "Singendes Schwert" (Berlin 1915)
Ernst Lissauer "1813" (Berlin 1913)
Walter Flex "Sonne und Schild" (Braunschweig 1915)
zeugen mit vielen anderen davon, dass ideologische Versatzstücke der NS-Literatur bereits um die Jahrhundertwende zu einem literarischen Massenphänomen geworden waren.
Die imperialistischen, kolonialistischen Tendenzen in den Gedichten von
Fritz Lienhard "Burenlieder"
Maria Kahles "Urwaldblumen"
und in den zahlreichen Kolonialromanen etwa eines Hans Grimm,
die Sammlungen mit Gedichten aus dem Baltikum, aus den Sudeten und Karpaten finden ihre Fortsetzung in den "Heim-ins-Reich-Rufen" der auslandsdeutschen NS-Lyriker.
Einen weiteren Strang bildet die Balladendichtung. Hier knüpft man an die heroische Heldenballade von Moritz von Strachwitz, an die germanischen Themen bei Felix Dahn, Hermann Lingg.
Fortgeführt wird diese Lyrik durch Börries von Münchhausen, Agnes Miegel, Lulu von Strauß und Torney, um nur die bekanntesten zu nennen. Ihre Gedichtbände erscheinen alle schon Jahrzehnte vor der endgültigen "Machtergreifung". Die Beliebtheit dieses Genres belegen zahlreiche Anthologien mit hohen Auflagen. Auch die Einzelbände der Autoren finden ein größeres Publikum. Ihre Aufnahme durch die Literaturkritik zeigt überwiegend breite Zustimmung und Wertschätzung. Nach 1945 füllen diese Autoren weiter Lesebücher und Schulanthologien, tauchen in den Angeboten der Bücherclubs auf, bilden eine konservative Alternative zur Amerikanisierung des Literaturmarktes.

Innerhalb des Spektrums der Autoren lassen sich während der NS-Zeit verschiedene Gruppierungen feststellen.
Eine einheitliche nationalsozialistische Literaturkonzeption gab es nicht. Die theoretischen Überlegungen sind vage und diffus. Die Definitionsversuche zur "volkhaften Dichtung" (Langenbucher) verbleiben im irrationalen Beschwören von Rasse, Blut, Volk und den "Urgründen", in den alles wurzelt. Naturmetaphorik ersetzt vielfach die rationale Analyse, Glaubenssätze die wissenschaftliche Beschreibung. Qualität wird zumeist an inhaltlichen Gesichtspunkten festgemacht: im Hervorheben der kriegsbejahenden Dichtung des 1. Weltkrieges, im Aufzeigen heroischer Vergangenheit und ihrer Führerfiguren, im Lebenskampf der Bauern und Fischer, zudem auch der Arbeitskampf der Werkgemeinschaft des Industriebereiches gezählt wird und an Beispielen, in denen sich "volkhafte Dichtung" durch emotionale Mittel (Gesang, Sprechchor) sich bemüht, den Beweis für die ideologische Aussage zu erbringen.
Sowohl Alfred Rosenberg, zuständig für die Überwachung der geistigen Schulung und Erziehung der NSDAP als auch Joseph Goebbels, Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung, versuchten die Kulturpolitik möglichst völlig ihren Dienststellen zuzuschlagen. Die Konkurrenzsituation, der Machtkampf und die durchaus in Nuancen vorhandenen ideologischen Differenzen führten mit dazu, dass eine klare Festlegung auf ästhetische Muster und Inhalte unterblieb. Die nicht ganz klaren Befugnisse und Zuständigkeiten eröffneten zeitweilig winzige Spielräume für Verlage und Autoren. Die NS-Studentenschaft bemühte sich anfangs den literarischen Expressionismus für den NS-Staat "zu retten". Immerhin gehörten ihm Parteigrößen wie Hanns Johst, Leiter der Reichsschrifttumskammer, an. Zur ideologischen Rechtfertigung diente der italienische Faschismus, der unter der Führung von Filipo Marinetti, futuristische und vitalistische Literaturkonzepte in den italienischen Faschismus integrierte. Auch Gottfried Benn zitierte 1933 den Faschisten Marinetti zur Verteidigung von Teilen des deutschen Expressionismus. Alle diese Anstrengungen konnten sich offiziell nicht durchsetzen, eine sprachkritische Untersuchung der NS-Lyrik belegt jedoch, dass sich ästhetische Verfahrensweisen des Expressionismus (Dynamisierungen, Pathos, Umdeutungen von Bildbereichen) in vielen Texten wiederfinden.
Besonders in den Anfangsjahren machte der NS-Staat Zugeständnisse an die Kulturbedürfnisse bürgerlicher Kreise, mit dem Kriegsbeginn 1939 verschärfte sich die Kontrolle des Literaturbereiches. Goebbels zog einen Großteil der Kompetenzen an sich und wies der rein unterhaltenden Kunst einen hohen Stellenwert zu. Literatur, Film und Musik erhielten eine Doppelfunktion, in dem sowohl ihre Verdrängungs- und Fluchtpotentiale als auch ihre manipulatorischen und operativen Möglichkeiten für die jeweiligen Ziele des NS-Staates genutzt wurden.
Die große Bedeutung, die der Faschismus dabei der Organisation von Sinnlichkeit beigemessen hat, deutet darauf hin, dass letztlich nicht eine erzwungenen, sondern die auf Freiwilligkeit beruhende Unterordnung unter das Führerprinzip durchgesetzt werden sollte. Die Idee, mit der "nationalsozialistischen Revolution" eine Gemeinschaft von "Arbeitern, Bauern, Soldaten und Studenten" herzustellen, sollte nicht nur abstrakter, romantischen Phantasien entlehnter Gedanke bleiben. Mehr als auf bloße Vortäuschung und Verfälschung von Realität scheint die Verwirklichung von "Gemeinschaft" im Faschismus auf dem Imaginieren beruht zu haben, was mehr beinhaltet als bloße Illusion. Es scheint etwas erzeugt worden zu sein, worin die Differenz zwischen Realem und Imaginärem verschwimmt. (Wulff, Musik, 63)

Rudolf Georg Binding


SCHLACHT - DAS MASS

Die Erde drängt sich zitternd an uns heran.
Das Feld steht auf wie ein Mensch vom Lager.
Saaten bewaffneter Männer sprießen
aus unsichtbaren Samen
in den Furchen zutag.
Schauerlich groß blühn grünschwarze Kelche
Erdstaub und giftige Gase
allenthalben empor.
Aufgeschreckt rasend
springen Fontänen aus trockenem Grund.
Auf Feuer gekreuzigt
fahren Menschenleiber zum Himmel,
zerstieben mit einer Grimasse,
schwarze verkohlte Sterne:
Erde und Gebein.

Rauchterrassen wälzen sich über uns hin.
In schweren Wettern rauscht Eisen nieder.
Blitze tasten heran.
Donner erwürgt uns.
Heulender Abgrund bäumt sich herauf
allüberall, und die Sonne schleift
Dunkel verpestete Mähnen in unseren Atem.
Unentrinnbar hält uns der Himmel
unter sich hingebannt:
unheimliches Basiliskenauge
Über kleinem Getier.

Einsam liegen wir da in der Not der Schlacht;
wir wußten, daß jeder einsam war.
Aber wir wußten auch dies:
Einmal vor Unerbittlichem stehn,
wo Gebete entrechtet, Gewinsel zu Gott
lächerlich ist,
wo keines Mutter sich nach uns umsieht,
kein Weib unsern Weg kreuzt,
wo alles o h n e Liebe ist,
wo nur die Wirklichkeit herrscht,
grausig und groß,
solches macht sicher und stolz.
Unvergeßlich und tiefer
rührt es ans Herz des Menschen
als alle Liebe der Welt.

Und wir fühlen: dies war das Maß.

Krieg zeigt sich hier sowohl als kosmisches, als auch biologisches Phänomen. Auf alle politischen wie soziologischen Fragestellungen verzichtet der Autor. Der Personifizierung der Natur: "die Erde drängt heran", "das Feld steht auf wie ein Mensch", der "Abgrund bäumt sich herauf", "der Himmel" hat ein "Basiliskenauge", "die Sonne schleift" stehen Naturmetaphern für die Menschen gegenüber: "Männer" als "Saaten" in "Furchen", "sprießen" aus "Samen", sind wie "kleines Getier", die Geschosse "blühn" als "Kelche", als "Fontänen".
Die Funktion ist eindeutig. Natur wird zum eigentlichen Handlungsträger, der Kreislauf von Blühen, Frucht und Verwelken macht den Krieg zum "natürlichen", unausweichlichen Ereignis. Sinnfragen und die Suche nach Ursachen erübrigen sich. Die Soldaten - Freund wie Feind - benötigen daher weder Befehle noch Kriegsziele, sie besitzen keine individuellen Züge nur Personalpronomen: "wir", "uns" oder Gattungsnamen: "Männer". Ihre Gleichsetzung mit biologischen Vorgängen bettet sie in den Naturkreislauf ein. Krieg wird zum gewaltigen Naturereignis samt Blitz, Donner, Rauch und "schwerem Wetter".
Eine zweite Strategie liegt im Benutzen antikisierender Formen wie dem Versmaß. Auch das Bild der Männer als Saatgut stammt aus der altgriechischen Mythologie, dem Argonauten- und Medäastoff. Dieses Verfahren zielt auf Heroisierung, hebt den Vorgang auf die Ebene des klassischen Dramas, verleiht ihm die Größe griechischer Helden, sichert ihm durch den Rückgriff auf mythologische Ereignisse ebenfalls Zeitlosigkeit. Leser und Autor heben sich im Erkennen wie Benutzen antiken Bildungsgutes aus der Masse heraus, partizipieren so an der Größe der Helden.
Ein dritter Bildbereich bemüht den Wortschatz der Bibel. Kreuzigung und Himmelfahrt, verbunden mit einer penetranten Feuersymbolik, verleihen den Soldaten messianische Züge und in der Konsequenz die Verheißung der Auferstehung, den Sieg über den Tod. Es gelingt dem Autor jedoch nicht, diese drei unterschiedlichen Bereiche glaubwürdig zu verbinden.
Daneben bedient sich Binding trotz aller Differenzen zum Expressionismus durchaus einiger seiner Stilmittel, starke Dynamisierung der Bilder, der Verben, Dämonisierung der Natur bis zur Umkehr von gewohnt positiven zu negativen Konnotationen: Sonne, Sterne, Himmel sind verkohlt, dunkel, verpestet. Vieles erinnert an Georg Heym: "Einmal am Ende zu stehen" (aus: Deine Wimpern, die langen) - "Einmal vor Unerbittlichem stehn".
Die Widersprüche, die sich aus diesen unterschiedlichen ästhetischen Verfahrensweisen ergeben, bemüht sich Binding durch eine relativ streng aufgebaute Vokal- und Konsonantenstruktur auszugleichen. Alliterationen und Assonanzen sollen das leisten, was auf der Inhaltsebene nicht erreicht wird. Die formale Strenge dient so als Stütze für "männliche, soldatische Haltung".
Die letzte Strophe zieht die Schlussfolgerung aus der Kriegsbeschreibung. Trotz der Vereinzelung des Menschen durch das Gefühl der "Einsamkeit" finden sich alle durch diese Stimmung wieder als Gruppe zusammengeschlossen. Die Erkenntnis von gemeinsamer Situation - die überdies mit einem Totalitätsanspruch auftritt: "allenthalben", "allüberall" - führt zur Propagierung einer heroischen Haltung. Angesichts der "Unerbittlichkeit" des Krieges verwirft der Soldat alle Trost- und Zufluchtsmöglichkeiten: "Gebet", "Gott", "Mutter", "Weib", "Liebe". Diese als "Wirklichkeit" ausgegebene Situation erzeugt "Sicherheit" und "Stolz", dringt bis ins Innerste des Menschen: "unvergeßlich" und "tiefer".
Die Erkenntnis erfolgt nicht durch Logik oder Beweise, sie wird "erfühlt". Anders lässt sich der Widerspruch zwischen dem winzigen Menschen, dem "kleinen Getier" und seiner gleichzeitigen heroischen Größe auch nicht überdecken. Sprachlich dienen die Kette von "unentrinnbar" über "unheimlich" zu "unvergeßlich", Steigerungsformen wie "tiefer", emotionale Begriffe wie "rühren", "Herz", "Liebe" als Beweismittel. Als weitere Überredungsstrategie bemüht Binding das rhetorische Mittel anaphorischer Reihung: "wo Gebete...wo keines...wo alles...wo nur". Der formale Aufwand, den der Autor betreibt, verweist so indirekt auf die ihm wohl bewussten inhaltlichen Schwächen. Nach der Negierung der traditionellen Werte: "Gott", "Mutter", Familie wird die Ablehnung, die heroische Haltung, selbst zum Wert, zum letzten "Maß" aller Dinge. Erst in der "Schlacht" findet der Mensch - gleichgesetzt mit der Mann - zur Erkenntnis, Wahrheit und zu den ihm gemäßen Werten und Gefühlen.

Binding ist mit dieser Position nicht der einzige Autor seiner Generation. Eine ganze Gruppe von Kriegsschriftstellern, besonders hervorzuheben wäre Ernst Jünger, bemühte sich in ihren literarischen Texten und theoretischen Schriften diese als "heroischen Realismus" oder "stählerne Romantik" - so Josef Goebbels offizielle Definition der NS-Kunst - bezeichnete Ästhetik zu untermauern. Sie passte hervorragend in den Rahmen der NS-Kulturpolitik. Binding unterstrich die Gemeinsamkeiten durch seinen publizistischen Angriff "Antwort eines Deutschen an die Welt" auf den französischen Schriftsteller Roman Rolland. Er ließ sich zum stellvertretenden Präsidenten der Deutschen Akademie der Dichtung wählen, um in einem Brief an das Preußische Ministerium für Kultur, Kunst und Volksbildung im servilen Tonfall zu schreiben: "Ich beeile mich, Ihnen mitzuteilen, dass ich feststellen werde, ob Musil jüdischer Abkunft ist, und dass ich in diesem Falle in kürzester Zeit einen anderen Namen unterbreiten werde." Binding schlug dann auch für eine Stiftung die genehmere Ina Seidel vor.
Keinen Widerspruch bildete dabei die vorsichtige Distanzierung des Rittmeisters des 1. Weltkrieges von der NSDAP. Er wird nie Parteimitglied, hat sich von seiner jüdischen Lebensgefährtin Elisabeth Jungmann nie getrennt, sich mit Goebbels und Baldur von Schirach über die NS-Kulturpolitik gestritten. Die Vertreter des offiziellen NS-Staates blieben 1938 seiner Beerdigung demonstrativ fern. Ritterlichkeit, heroische Haltung und ein elitäres großbürgerliches Bewusstsein führen zu einer konservativen Kritik am NS-Staat und seinen kleinbürgerlichen Repräsentanten. Dem Gefreiten und Anstreicher Hitler fehlte es am entsprechenden "Maß" und an Stil.

Agnes Miegel

Die Frauen von Nidden

Die Frauen von Nidden standen am Strand,
Über spähenden Augen die braune Hand,
Und die Böte nahten in wilder Hast,
Schwarze Wimpel flogen züngelnd am Mast.

Die Männer banden die Kähne fest
Und schrieen: "Drüben wütet die Pest!
In der Niedrung von Heydekrug bis Schaaken
Gehen die Leute in Trauerlaken!"

Da sprachen die Frauen: "Es hat nicht Not,
Vor unsrer Türe lauert der Tod,
Jeden Tag den Gott uns gegeben,
Müssen wir ringen um unser Leben.

Die wandernde Düne ist Leides genug,
Gott wird uns verschonen, der uns schlug!" ---
Doch die Pest ist des Nachts gekommen
Mit den Elchen über das Haffgeschwommen.

Drei Tage lang und drei Nächte lang
Wimmernd im Kirchstuhl die Glocke klang.
Am vierten Morgen, schrill und jach
Ihre Stimme in Leide brach.

Und in dem Dorf, aus Kate und Haus,
Sieben Frauen schritten heraus,
Sie schritten barfuß und tiefgebückt,
In schwarzen Kleidern buntgestickt

Sie klommen die steile Düne hinan,
Schuh und Strümpfe legten sie an,
Und sie sprachen: "Düne, wir sieben
Sind allein noch übriggeblieben.

Kein Tischler lebt, der den Sarg uns schreint,
Nicht Sohn und nicht Enkel, der uns beweint,
Kein Pfarrer mehr, uns den Kelch zu geben,
Nicht Knecht noch Magd ist mehr unten am Leben. -

Nun, weiße Düne, gib wohl acht:
Tür und Tor ist dir aufgemacht,
In unsre Stuben wirst du gehen,
Herd und Hof und Schober verwehn.

Gott vergaß uns, er ließ uns verderben.
Sein verödetes Haus sollst du erben,
Kreuz und Bibel zum Spielzeug haben, -
Nur, Mütterchen, komm uns zu begraben!

Schlage uns still ins Leichentuch,
Du unser Segen, einst unser Fluch. -
Sieh, wir liegen und warten ganz mit Ruh" -
Und die Düne kam und deckte sie zu.

Die ostpreußische Autorin, eine der bis in die Schulbücher der 60. Jahre des 20. Jahrhunderts beliebtesten Balladendichterinnen, veröffentlichte ihren ersten Gedichtband bereits kurz nach der Jahrhundertwende. Sie knüpfte thematisch an die gängigen Motive von Meer, Fischer, Naturgewalten an, konnte sich dabei auf eine Flut von "Salzwasserlyrik" von Hermann Allmers über Gorch Fock bis zu Otto Ernst stützen und gleichzeitig auf die Balladenpublikationen ihrer Zeitgenossen Ina Seidel, Börries von Münchhausen, Lulu von Strauß und Torney. Formal griff sie hinter Theodor Fontane bis auf die heroischen Balladen von Moritz von Strachwitz zurück.
Orts- und Landschaftsnamen: "Haff", "Nidden", "Heydekrug", "Schaake" lokalisieren die Handlung und sollen den baltischen Raum und seine Geschichte mit in den Text einbeziehen. Die ostpreußische Landschaft ist dabei im Bewusstsein der zeitgenössischen Leser mit einer Reihe ideologischer und politischer Positionen besetzt, die sich unter der Propagandaformel "Heim-ins-Reich" zusammenfassen lassen. Zeitlich lässt sich der Text hingegen nicht genau festlegen. Er spielt zur Zeit der Pest, wird so zwar zu einem vergangenen Geschehen, aber wahrt durch diese Unbestimmtheit die Nähe zum Leser. So wie der ferne nicht industrialisierte Raum gleichzeitig die Möglichkeit eines solchen Geschehens bis an die Gegenwart heranrückt.
Gradliniger Handlungsablauf und einfacher Aufbau des Textes entsprechen sich. Paarreime, überwiegender Zusammenfall von Satzeinheit und Vers, ein Übermaß an Wiederholungen, anaphorischen Reihungen, einfache grammatikalische Strukturen, sie alle sollen Ursprünglichkeit und Einfachheit suggerieren und damit auch den Wahrheitsgehalt bestärken. Das Verhältnis der Frauen zum Tod als einem Bestandteil ihres Lebens, der Tod, der durch Naturgewalten wie die "Wanderdüne" jederzeit eintreten kann, hat eine doppelte Funktion. Einerseits zeigt es den "Lebenskampf" gegen die Natur - in der NS-Literatur vielfach am Beispiel deutscher Bauern in Grenzlandgebieten vorgeführt - andererseits bereitet es die Lösung des Konfliktes vor. Das enge Verhältnis von Mensch-Natur-Tod ermöglicht es den letzten Überlebenden der Pest, sich an die Düne als ihren Totengräber zu wenden. Da sie sich selbst von Gott verlassen sehen: "Gott vergaß uns, er ließ uns verderben" fordern sie die Natur auf, sich an seine Stelle zu setzen: "Sein verödetes Haus sollst du erben." Die Frauen weisen ihr damit auch den theologischen Raum "sein Haus", den Wertekanon "Kreuz und Bibel" und die Erlösungsfunktion "Segen" zu. Und sie übergeben ihr den eigensten weiblichen Bereich "Stube", "Herd und Hof", nachdem sie ihrer biologischen Funktion, Mutter und Gattin zu sein, beraubt sind.
Gesteigert wird die Spannung durch die Personifizierung der Düne als "Mütterchen", bei gleichzeitiger Rücknahme des Bedrohlichen. Geschaffen wird so eine gemeinsame Ebene des Weiblichen - Geburt, "Sohn" und "Enkel", wie Tod gehen von Frauen aus - die Bewertungen kehren sich um, "Fluch" wird zum "Segen". Die Erkenntnis dieser Zusammenhänge erfolgt durch Frauen, denen in Handlung und Sprache ein besonderes Verständnis von Natur und ihren Gesetzen zugeschrieben wird. Zur Vorbereitung des Schlussverses dienen dabei ebenso die symbolischen Zahlensetzungen "drei" und "sieben" wie die Art und Weise, in der die Frauen zur Düne sprechen. In einem quasi mystischen Akt, in Festtagskleidung "buntgestickt" - formal als abgesetzte Verszeile gekennzeichnet - zwingt Sprache Natur zum Handeln. Die Düne bewegt sich und "deckt" ihre Kinder, die sieben Frauen, zu. Auch hier verweist der Text auf ein Frauenbild, das mittels Beschwörungsformeln, wie in vorgeschichtlicher Zeit Gewalt über die Natur ausüben kann. Der Bogen von den Merseburger Zaubersprüchen als Eröffnungsgedicht in Lesebüchern und Anthologien bis zu den Schlussballaden einer Agnes Miegel bekommt so zusätzliche Bedeutung.
Die ideologische Nähe der Autorin zur Blut-und-Boden-Literatur zeigt sich also nicht so sehr in der Wahl von Landschaft und Meeresthematik, bedenklicher ist, wie hier der Tod dargestellt, welche Rolle Frauen zugeteilt, welche Traditionen gestiftet werden. Agnes Miegel wurde mit derartigen Texten zur Wegbereiterin des NS-Gedankengutes. Ihr späteres Eintreten für den NS-Staat, ihre Bereitschaft zur kulturpolitischen Betätigung, Auftritte beim Arbeitsdienst, in der Reichsführerschule der HJ, das Unterzeichen von Briefen mit dem deutschen Gruß waren so nur konsequent und reichten bis zum hymnischen Gedicht "An den Führer".
Von den Alliierten bis 1949 mit Veröffentlichungsverbot belegt, sah sie sich selbst nicht als Teil des NS-Systems, sondern als Verfolgte und Heimatvertriebe. Im Adenauerstaat kam sie während der Zeit des Kalten Krieges wieder zu Ehren, insbesondere die ostpreußischen Landsmannschaften betrieben in vielfacher Weise ihre Rehabilitierung. Sie erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen. An ihrem 80. Geburtstag konnte Ex-Vertriebenen-Minister Dr. Theodor Oberländer bekanntgeben, dass "nicht weniger als 13 Oberschulen in der Bundesrepublik den Namen Agnes Miegel tragen." (Loewy 304) Auf dem "Dichterstein" in Offenhausen/Oberösterreich ist sie mit vielen anderen NS-Autoren als Symbol für eine nationale und völkische Literatur vertreten. Die "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.", die "größte heidnische Gemeinschaft Deutschlands", vertreibt im Internet eine Schallplatte mit von Agnes Miegel gesprochenen Gedichten.
Ob diese bis in die Gegenwart reichende Traditionsbildung durch literarische Versuche, wie sie Johannes Bobrowski in seinen "Sarmatischen Gedichten", Erzählungen und Romanen vornahm, aufgebrochen wird, darf bezweifelt werden. Agnes Miegel scheint als "Mutter Ostpreußens" wie als "Balladendichterin" im Bewusstsein der Leser - fern aller ideologischen Zusammenhänge - präsent zu bleiben, wie allein die fünf lieferbaren Titel im Buchhandel belegen, unter ihnen auch die gesammelten Balladen Wie Bernstein leuchtend auf der Lebenswaage.

Heinrich Lersch

Der Autor, als Kesselschmied selbst aus der Arbeiterschaft stammend, galt als der bedeutendste der sogenannten Arbeiterdichter. Bereits im 1. Weltkrieg entstanden neben vereinzelten Texten der Brüderlichkeit "Es lag schon lang ein Toter vor unserm Drahtverhau" eine Fülle kriegsverherrlichender Gedichte: "Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen". Allein 12 Gedichtbände aus der Zeit von 1914-1918 widmeten sich den Themenkreisen, Krieg, Deutschland, Heimat. Fronterlebnis und kameradschaftlicher Zusammenhalt wurden als die bestimmende Lebenserfahrung auch in die Nachkriegszeit projeziert. Während der Weimarerzeit überlagerte dann der Begriff der Volksgemeinschaft mehr und mehr den der Kameradschaft: "Ich bin nicht allein. Bin Volk. Darum klage ich nicht. Ich gehe nicht unter. Nie geht Volk unter. Volk ist die ewig gebärende Mutter." (Mulot 175).
Die ihm zuteilwerdenden Ehrungen, die Berufung in die Deutsche Akademie der Dichtung, den Rheinischen Literaturpreis von 1935 verstand er nicht nur als eine Bestätigung seiner eigenen Werke, sondern sie ließen ihn auch die Gleichschaltungsmaßnahmen als eine Überwindung von Klassengegensätzen, Ausbeutung und Fremdbestimmung sehen. Die völkische Literaturkritik lobte ihn für seine ideologische Schützenhilfe: "Heinrich Lersch riß den Arbeiter hinaus über das trügerische Evangelium von der Klasse und von der Gleichheit der Menschen, er geleitete ihn mit einer leidenschaftlichen Liebe zu Volk und Vaterland auf den Weg, der auf das Schicksal der Nation zuführte." (Langenbucher 179) Dabei verklärte er nicht nur seinen eigenen Werdegang: "Neun Jahre Warten, neun Jahre im Exil. Verachtet als Arbeiter von den Bürgern. Verachtet als Kriegsdichter von den Parteien der Arbeiter. Kurzer Brotkorb, lange Hungerpeitsche! Zehn Jahre lang - Manuskripte, koffervoll....Den roten Parteien war und blieb er 'Metaphysischer Kläffer', 'Kettenschmied', den schwarzen: 'Proletarischer Heide'. Hauptberuf: Vater. Als Dichter vielbeschäftigter Erwerbsloser. Hitler riß dem deutschen Michel mächtig am Schopf, riß ihm die Schlafmütze ab: unter der schwarzen Haube und der roten Perücke kam der blonde Kopf zum Vorschein: die deutsche Revolution. Sei gegrüßt, ewige Mutter der Freiheit." (Oehlke 288).
Zugleich führten die ihm entgegengebrachte Wertschätzung: "Dichtergenie" (Mulot 176) und die zugewiesene Rolle: "führt den Arbeiter über die Klassen hinweg zur nationalen Gemeinschaft aller Deutschen" (Lennartz 175) zu einem Ausblenden von Wirklichkeit: "Ein reiner Spiegel alles Seins, steht der Dichter am Amboß, nicht mehr ein darbender Arbeitsmann, sondern Prometheus, ein Schöpfer und Lichtbringer, im Rausche des Zeugens der Unsterblichkeit gewiß,..., gefeit gegen zerfressende Gedanken, voll des Glaubens an die Welt, die Menschen und das Gute, triumphiert ein strahlendes Arbeitsethos in seinen Versen." (Mulot 173)
Schließlich stellte sich Lersch mit Texten wie Soldaten der braunen Armee und Marsch zur Kampfbahn völlig in den Dienst des NS-Staates.

Marsch zur Kampfbahn
Aus den werkumbauten Höfen,
Großstadtstraßen dumpf und schwer,
Aus dem Qualm der Feueröfen
Tönt ein helles Schreiten her.

In das Groll'n der Eisenbahnen
Klingt der helle Marschgesang,
Hände recken hoch die Fahnen,
Vorwärts, straffer Vorwärtsgang.

Alle Straßen gehen ins Weite,
Unsre Sehnsucht eilt voran.
Junge Menschen, Seit' an Seite,
Bauernjunge, Arbeitsmann.

Unsrer Leiber starke Regung
Quillt in frühlingsfrischem Mut,
Treibt in flutender Bewegung
Kraft und Wille, Geist und Blut.

Die gebändigten Gewalten
Siegen im umgrenzten Feld.
Kampfgestählte Kraftgestalten
Vor euch liegt die neue Welt.

Schon der Titel des Gedichtes bedient sich des militärischen Sprachschatzes. Er zieht sich durch den ganzen Text: "Marschgesang", "Fahnen", "Siegen", "Feld", "Kampf". Er wird zunächst mit dem Arbeitsbereich verknüpft: "Werk", "Qualm", "Feuerofen", "Eisenbahnen", um dann diesen mit der 3. Strophe völlig in den Hintergrund treten zu lassen. Die antithetische Gegenüberstellung von Arbeitswelt / Großstadt, gekennzeichnet als "dumpf", "schwer" und "eng", mit der "neuen Welt" und ihren positiven Werten nimmt dem Leser jede Entscheidung ab. Eine endlose Reihe von Qualitätsmerkmalen lobt die braunen Machthaber als "hell", "hoch", "straff", "vorwärts" gerichtet, "weit voraneilend", "jung", "stark", "frühlingsfrisch", "bewegt", "kampfgestählt", "siegreich", voller "Mut", "Kraft", "Wille", "Geist." Wer wagte angesichts dieser Überfülle noch eine kritische Frage, warum hier marschiert, worum gekämpft wird und gegen wen? Ein gleichmäßiges Metrum suggeriert den Marschtritt, anaphorische Reihungen, Alliterationen, Assonanzenketten sollen ein Gefühl von Gemeinschaft des "Bauernjungen" mit dem "Arbeitsmann" und ihre spätere Erhöhung zum Soldaten, zur "kampfgestählten Kraftgestalt", erzeugen. Gleiches gilt für die Verknüpfung von "Geist" und "Blut".
Bewegungsverben "schreiten", "recken", "gehen", "eilen", "quillen", "treiben", "fluten" und dynamische Substantive durchziehen den ganzen Text, wobei das konkrete Ziel dieser "Bewegung" nicht angegeben wird, im historischen Kontext allerdings eindeutig auf den NS-Staat bezogen ist, der sich propagandistisch ja selbst als Bewegung darstellte.
Im Aufzählen von Schlüsselbegriffen der Kriegslyrik wie "Fahne", "Kampf", "Blut", im Anlehnen an bekannte Arbeiterlieder wie Wann wir schreiten Seit' an Seite, durch die Übernahme klassischerweise mit der Arbeiterbewegung verbundener Begriffe wie "die neue Welt", einer SPD-Parteizeitschrift von 1876 bis 1917, betreibt Lersch im Kleinen, was ideologisch mit der Arbeiterbewegung und ihrer Kultur im großen Stil praktiziert wurde: Aneignung, Umwidmung, Gleichsetzung.
Mit seinem Gedicht "Soldaten der braunen Armee" hat Lersch diese Vorgehensweise noch verstärkt. Begriffe wie Heimatfront, die Arbeit als Schlacht bis zum "Held der Arbeit" werden durch die Gleichsetzung von Soldat und Arbeiter, von Arbeit und Kampf vorausgedacht und vorformuliert.
Seine literarischen Handlangerdienste leisteten einen nicht unwichtigen Beitrag beim Versuch der NSDAP, die Arbeiterschaft für sich zu gewinnen.
Neben Lersch geraten auch die anderen Arbeiterdichter Karl Bröger, Max Barthel, Hermann Claudius, Christoph Wieprecht, Otto Wohlgemuth ins Fahrwasser der Nationalsozialisten. Die in der Arbeiterklasse vorhandenen revolutionären Tendenzen werden von ihnen aufgegriffen und in ihren Texten in ähnlicher Weise umgeleitet. Durch das Propagieren von Werkkameradschaft und Volksgemeinschaft, das Heroisieren des Arbeitsprozesses sollen die Klassengegensätze überdeckt und im völkischen Staat als gelöst erscheinen.

Gerhard Schumann

Er zählte zur Gruppe der Parteidichter, die ab 1930 unter dem Namen "Junge Mannschaft" firmierte und Texte für die Parteigliederungen (HJ, BDM, SA) und die Parteiversammlungen lieferte. Fast alle von ihnen - Anacker, Baumann, Böhme, von Schirach, Schumann - hatten Parteiämter inne. Baldur von Schirach, 1933 von Hitler zum Jugendführer des Deutschen Reiches ernannt, verfasste nicht nur selbst Gedichte, sondern bemühte sich auch persönlich als Herausgeber von Anthologien und Liederbüchern um die Verbreitung von NS-Literatur gerade junge Autoren.
Die Liste von Gerhard Schumanns Parteiämtern und -funktionen übertrifft wahrscheinlich die aller anderen Autoren: Zellenobmann, Hochschulgruppenführer, 1933 Bezirksführer des NS-Studentenbundes, bis 1934 Kreisführer des NS-Studentenbundes Württemberg, Landesführer des NSDSTB. SA-Scharführer, Truppführer, Sturmführer, Sturmbannführer, Standartenführer der SA; Leiter des SA-Hochschulamtes Tübingen. 1935 Berufung zur Bearbeitung kultureller Angelegenheiten in die Gauleitung der NSDAP Württemberg und in die Landesstelle des Reichspropagandaministeriums, SA-Oberführer. Seit 1936 Mitglied des Kulturkreises der SA. 1938 von Goebbels in den Reichskultursenat und in den Präsidialrat der Reichsschrifttumskammer berufen, von Baldur von Schirach in die Arbeitsgemeinschaft junger Künstler aufgenommen. 1938 Leiter der Gruppe Schriftstellerin der Reichsschrifttumskammer. 1942 Chefdramaturg des Württembergischen Staatstheaters, später Generalintendant. 1944 freiwillige Meldung zur Waffen-SS, zum SS-Hauptamt CI2 versetzt.
Die Texte der "Jungen Mannschaft" kennzeichnet ein besonderes Maß an Agressivität und Agitation.
Schumanns lyrische Hauptwerke sind in den Gedichtbänden "Wir aber sind das Korn", "Die Lieder vom Reich" und "Die Lieder vom Krieg" gesammelt. Sie enthalten, wie in den Titeln angekündigt, eine Fülle von Liedern, teils mit Notenbeigaben. Die Literaturkritik hat zu recht festgestellt: "Für Intention und Wirkung der politischen Lyrik des Nationalsozialismus und des Dritten Reiches ist es wichtig zu beobachten, dass es sich fast immer um Marschlieder handelt. ...Der bare Sinn der Texte ist oft kaum zu erfassen; die Lieder begnügen sich damit, die zentralen Stichworte abzurufen, und bringen sie im übrigen auf eine singbare Melodie, zu der sich marschieren lässt." (Ketelsen 299) Heinrich Anacker spricht von der "Magie der Viererreihe" als Umsetzung der Marschkolonne in vierhebiges Versmaß.
So richtig diese Beobachtung ist, bedarf es einer Einschränkung. In beiden Lieder-Büchern Schumanns findet sich auch eine ganze Reihe Sonette. Bei den Liedern vom Reich handelt es sich sogar entgegen der Titelankündigung nur um sieben Sonette. Die Kunstform übernimmt dabei mehrere Funktionen. Ihre formale Beherrschung beweist, dass der Parteischriftsteller auch "Dichter" im gängigen Verständnis bildungsbürgerlicher Kreise ist. Indem er sich in eine Formentradition stellt, erhebt er nicht nur den Anspruch auf Gleichwertigkeit, sondern reklamiert auch für seine Inhalte einen Platz in einer weitzurückreichenden Ideengeschichte. Unter dem Aspekt der Form-Inhalt-Entsprechung nutzt Schumann ebenfalls eine "übliche" ästhetische Erwartung. Die Gewichtigkeit der Gedanken sollte die hohe künstlerische Form nach sich ziehen. Schumann stützt sich auf dieses Lesereinverständnis, um es in umgekehrter Richtung anzuwenden. Der ästhetische Aufwand muß jetzt den Wahrheitsgehalt der Inhalte beweisen, ja verleiht ihnen erst Größe. Das letzte der sieben Sonette belegt darüber hinaus ein weiteres Verfahren der NS-Lyrik.

VII
Da kam die Nacht. Der Eine stand und rang.
Und Blut entfloß den Augen, die im Schauen
Erstarben vor dem fürchterlichen Grauen,
Das aus den Talen zu dem Gipfel drang.

Notschrei fuhr auf und brach sich grell und bang.
Verzweiflung griff mit letzter Kraft ins Leere.
Er aufgebäumt, erzitternd vor der Schwere .-
Bis der Befehl ihn in die Knie zwang.

Doch als es aufstund fuhr der Feuerschein
Des Auserwählten um sein Haupt. Und niedersteigend
Trug er die Fackel in die Nacht hinein.

Die Millionen beugten sich ihm schweigend.
Erlöst. Der Himmel flammte morgenbleich.
Die Sonne wuchs. Und mit ihr wuchs da Reich.

Konsequent benutzt der Text die Kreuzigungsgeschichte von Christus, sein Ringen mit Gott im Garten Gethsemane, sein Auserwähltsein, zur Darstellung des Führers. Er vermeidet, um die Gleichsetzung vollständig zu erreichen, die Namensnennung von Hitler wie Jesus. Im Sonett heißt es nur "der Eine" - großgeschrieben wie in biblischen Texten, "Er", der "Auserwählte". Opfergang und Auferstehung Jesu Christi werden ins Diesseits verlegt. Die exponierte Stellung auf dem "Gipfel" ermöglicht dem Führer den Überblick über das Geschehen unten im Volk in "den Talen". Das Wissen um das Elend, "die Nacht", "das Grauen" macht ihn zum Führer, sein Führertum wird zur schweren Pflicht, ist wie bei Christus oder Moses auf dem Berge Sinai göttlicher Befehl. Die Verwendung altertümlicher Sprachformen "Talen" statt Tälern, "aufstund" statt aufstand, unterstützt den Rückgriff auf biblische Geschichte. Die Schlussstrophen zeigen in logischer Fortsetzung ihn ebenfalls als Erlöser. Wobei Erlösung aktuell im Hier und Jetzt stattfindet. Auch hier ein Verweis auf das Reich Christi, auf die Führerfigur Moses und die Schaffung des israelitischen Reiches im gelobten Land mit dem Dritten Reich, wobei die Verwendung christlich-jüdischer Moive auf dem Hintergrund eines militanten Antisemitismus makabre Züge trägt. Die überzogene Lichtmetaphorik verleiht dem "Einen" nicht nur überirdische Züge und damit auch dem Heil, das er bringt, dem Reich, sondern gerät durch ihre Überzeichnung, durch das abgegriffene Bild "durch Nacht zum Licht" ins Pathetisch-Lächerliche.
Schumann benutz aber nicht einfach biblische Verweise und die christliche Botschaft, um den Führer und das Reich aufzuwerten, ihnen göttliche Züge zu verleihen. Die Verlagerung von Theologie in die aktuelle Politik hat weiterreichende Ziele. Was hier und in zahlreichen ähnlichen Texten versucht wird, ist quasi das Erschaffen einer neuen Religion - die im Deutschchristentum und einer Reichskirche mit Pfarrern in SS-Uniform ihre makabre Umsetzung erfuhr. Ihre Aufgabe ist es, die Widersprüche in der NS-Ideologie, zwischen Propaganda und gesellschaftlicher Wirklichkeit zu überspielen. Führertum und Gefolgschaft sind letztlich Glaubenssätze, sie bedürfen keines Beweises, keiner Worte, "schweigend" erkennen die "Millionen" sie an. Das Reich ist nicht nur Ergebnis von Politik, es ist nicht nur Erfüllung eines Mythos (Germanien, Karl der Große, Barbarossa), es ist entsprechend der christlichen Botschaft von der Erlösung und dem Himmelreich das wichtigste Ziel, die Erfüllung aller Wünsche, die Aufhebung aller Widersprüche, es findet seinen Sinn in sich selbst. Und es ist erreichbar, es wird im NS-Staat, im Großdeutschen Reich, Realität.
Ähnliches geschieht mit anderen zentralen Begriffen wie "Volk", "Rasse", "Blut". Sie erfahren ebenfalls eine Aufwertung zu Glaubenssätzen oder dienen wie "Trommel", "Fahne", "Flamme" ihrer feierlichen Bestätigung. Die chorische Weihespiele der NS-Dichter ("Deutsche Passion"), ihre zahlreichen Kantaten, Psalmen und Gebete greifen nicht zufällig liturgische Formen auf. Sie sind nur konsequente Fortsetzung, sie sind religiöse Feiern, mit Licht-Domen, dem "Sieg des Glaubens" von Leni Riefenstahl, deutsch-christlicher Orgelbewegung und Verkündigung.
Die Texte, vorgetragen bei Parteiveranstaltungen, eingerahmt von Reden, entsprechender Musik, Licht- und Aufmarscheffekten dienen der Glaubensbestätigung. Sie schließen den Einzelnen zur Gemeinde, zur Volksgemeinschaft zusammen und vermitteln neben den Werten und Zielen, der Teilhabe an der Erlösung, die entsprechende hierarchische Ordnung. Rationale Fragestellungen erübrigen sich, Kritik beruht auf Ungläubigkeit. Mit Ungläubigen wird entsprechend verfahren. Sie lassen den Blick für die Wirklichkeit verloren gehen, so dass den "Glauben an den Führer" weder Stalingrad noch zerbombte Städte trüben konnten. "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn", die "Wunderwaffen" des Führers konnten ihre ideologische Wirkung auch dank dieser Sonette entwickeln.
Bei der Fülle ähnlich gestalteter Texte bleibt zu fragen, ob es diesen nicht sogar gelang, die vorhandenen christlichen Texten, Gebete, Lieder, Gedichte auch in ihrem Sinne rezipierbar zu machen.

Josef Weinheber.

Die bisherigen Beispiele bestätigen im Großen und Ganzen das Urteil vom Qualitätsmerkmal der politischen Lyrik der NS-Zeit. Dies hängt sicherlich mit der ideologischen Nähe der Autoren zum Nationalsozialismus zusammen. Es darf aber nicht zum Umkehrschluss verleiten, dass Übereinstimmung mit der NS-Ideologie notwendiger Weise zu "missratener" Lyrik führt. "Nationalsozialistische politische Lyrik ist nicht notwendig von mäßiger literarischer Qualität, und sie steht nicht notwendig in einer wesentlichen Verbindung zum organisierten Nationalsozialismus." (Ketelsen 306)
Angeführt werden können hier das formale Können und Treffen des Volksliedtones bei Hans Baumann ("Es geht eine helle Flöte") und das Werk des Österreichers Josef Weinheber.

Zwischen Göttern und Dämonen...

Wohl ist Leben nicht viel. Und es gebürt jegliche Ehre den
Himmlischen über uns. Aber es muß dennoch das bittre ge-
lebt sein. Nein, keine Flucht steht uns zur Hand. Wer da zerbricht, zerbricht.
Nichts. Das ist kennt Erbarmen.
Wir sind hier, aber nicht augenblickhaft wie die Nurirdischen.
Und es hat ja das Tier keinerlei Wahl. Wir aber schreiten durch,
schauend vor und zurück. Unser die Wahl. Unser das Beispiel auch,
dank den Größern, den Toten.

Vielmißhandeltes Wort, menschliches Wort, göttliches: Menschlichkeit!
Wohl ist Leben nicht viel, Adel jedoch uns in die Hand allein
und ans Herz doch gelegt! Welten sind viel - Welche von ihnen sei
wert, erlitten zu werden?

Brüder, Tränen sind schön, Tränen sind gut. Laßt sie uns sammeln zum
ewig heiligen Strom! Drinnen ertrinkt jegliches Ungefähr.
Ja-und-nein ist die Kraft. Aber es steht königlich drüberhin,
was wir fühlen: das Ganze!

In seiner Ode Nr. 36 versucht Weinheber, eine antike Strophe neu zu schaffen. In Anlehnung an römische Versformen verwendet er den asklepiadischen Sechzehnsilber mit leichten Variationen. Die Strophen schließen im Gegensatz zur klassischen Ode mit einem Abgesang, einer pherekratischen Epode. Strophenende und Satzende fallen zusammen. Der Text soll innerhalb des gewählten klassischen Rahmens einen größeren Spielraum gewinnen. "Das Gedicht sondert sich so von den rein antiken Formen ab, um eine Art Mitte zwischen diesen und den modernen einzunehmen." (Jenaczek 369) Also keine rein epigonale Verwendung klassischer Formen wie etwa bei Binding liegt hier vor, sie bleiben verpflichtendes Vorbild. Ihre Aneignung und persönliche Gestaltung eröffnen dem Autor einen Raum "Zwischen Göttern und Dämonen". Der Künstler ist durch seine Kunst in der Lage, diesen Raum zu errichten. Die antike Aura verleiht seinen Gedanken erneut deren Größe und Überzeugungskraft. Seine eigene Leistung legitimiert dies. Das Thema der Ode entspricht durchaus den vom antiken Gewand ausgelösten Erwartungen. Es geht - zum wiederholten Male - um die großen menschlichen Seinsfragen.
Grundsituation: Der Mensch steht in völliger Abhängigkeit von den "himmlischen" Mächten, den Göttern. Angesichts ihrer Macht und Gewalt besitzt sein Leben nicht viel Wert. Was erfolgt ist Auflehnung: "aber", "dennoch", "nein". Sie ist jedoch vergeblich - es gibt kein "Erbarmen".
Ausweg: Vom Tier trennt den Menschen die Möglichkeit der Wahl, diese Situation anzunehmen, sich zu fügen oder aufzulehnen. Ihn unterscheiden die Reflektion, die Erinnerung an menschliche Größe, die Vorausschau, die Zielsetzung. Die dritte Strophe bestimmt die Möglichkeit des Menschen genauer: "Menschlichkeit" und "Adel". Beide nicht in heroischem Sinne gemeint - in der ersten Strophe wird dies bereits verworfen: "wer zerbricht, zerbricht". Beide Begriffe erfahren allerdings ihre Einschränkung: "Menschlichkeit" ist "vielmißhandelt", "Adel" uns nur anvertraut, "ans Herz gelegt". Erneut erfolgt durch die Wiederaufnahme der Eingansworte "Wohl ist Leben nicht viel" eine Warnung vor Selbstüberschätzung. Es geht nicht um Aktion, es geht um Passion. Die Welt muss erlitten werden.
Schlussfolgerung: Der Mensch wird aus seiner Vereinzelung gelöst, findet im Leiden den Bruder. "Leiden ist leidenswert, wenn es die Menschen aus ihrem Alleinsein löst, aus Vereinzelung, Einsamkeit, und sie gegenseitig sich nahe bringt." (Jenaczek 366) Die Wahlmöglichkeit - dass die Menschen leiden ist unabdingbar, aber es bleibt ihnen das wie - verleiht ihnen die Kraft. Das Zusammengehören von Gut und Böse, "Götter und Dämonen", Himmel und Hölle, ihr Durchleben sind schließlich "das Ganze". Dieser letzte Lebenssinn wird allerdings erfühlt, als Teil des oberen, des "königlichen" Bereichs entzieht er sich dem Verstand. Die Literaturkritik auch der 50 er Jahres des 20. Jahrhunderts hat dies kritiklos begrüßt, ohne die Zusammenhänge mit der faschistischen Ideologie, ihrem Götterdämmerungs- und Nibelungenmythos, ihren Durchhalteparolen und heroischen Untergangsphantasien zu thematisieren:
"Es gilt jene vorbehaltlose Annahme der vollen Wirklichkeit, die dem Nein die ausklammernde, tilgende Negativität, die metaphysische Starre nimmt - die das Übel, das Böse nicht verdrängt, sondern fruchten läßt als Antrieb, als ein Werkzeug, das Gute wirklich werden zu lassen, indem wir hindurchgehen." (Jenaczek 367)
Letztlich transportiert Weinheber, wenn auch mit größerem formalen Können, die gleichen ideologischen Botschaften wie Binding. Seine Nähe zum NS-Gedankengut dürfte ihm durchaus bewusst gewesen sein, seine direkten Partei-Gedichte und Führer-Verse erfolgten ohne irgendeine Art von Notwendigkeit und entsprachen wohl einem inneren Bedürfnis des Dankes an die Kräfte, die ihn als Beweis für die hohe Qualität faschistischer Literatur anführte und mit Ehrungen und Preisen bedachte. Sein Freitod angesichts der Niederlage des NS-Staates kann ähnlich wie bei Freiherr Börries von Münchhausen als persönliches Schulbekenntnis, als Angst vor den Folgen der Niederlage gesehen werden, entspricht auf jeden Fall aber nicht der "heroischen Haltung" und den "Unerbittlichkeitsfloskeln", die in ihren Texten propagiert werden.